Haste was, biste was!“ Was für ein Blödsinn. Viel zu sehr glauben wir, unsere persönliche Erfüllung hinge von Reichtum, Besitz und Status ab. „Hätt ich nur mehr Asche, wär alles so viel besser. Dann könnt ich mir den dicken Sportwagen kaufen und die Bunnys würden mir in Scharen hinterherlaufen.“ „Wär mein Einfluss größer, hätt ich endlich das Ansehen, das ich verdiene.“ Und so hecheln wir diesen Luftschlössern hinterher, hoffen auf die Zukunft und fühlen uns unerfüllt. Wir vertrauen darauf, dass eine Veränderung der äußeren Umstände uns selbst zu besseren Menschen werden lässt – anstatt einfach daran zu arbeiten, bessere Menschen zu werden!

Die Pseudo-Welt

Wenn wir darauf vertrauen, dass die „Schönen & Reichen“ glücklich und erfüllt oder gar interessante und komplexe Persönlichkeiten wären, dann täuschen wir uns… und zwar so was von. Die finanzielle Situation eines Menschen ist ein relativ unbedeutender Faktor in puncto Zufriedenheit mit dem eigenen Leben. Eine groß angelegte Gallup-Umfrage verglich dies 1976. Ihr zufolge wiesen z.B. Westdeutsche und Nigerianer vergleichbare Werte für das eigene Befinden für Glück und Zufriedenheit auf, obwohl sich das jeweilige Bruttosozialprodukt um das Fünfzehnfache unterschied. Persönliche Erfüllung hängt überhaupt nicht davon ab, was wir haben und was andere über uns denken, sondern allein davon, was wir sind und wie wir mit dem umgehen, was uns geschieht!

„Gesundheit, Geld und andere materielle Vorteile können das Leben verbessern oder nicht. Wenn man nicht gelernt hat, seine psychische Energie zu kontrollieren, besteht die Möglichkeit, dass sie gänzlich nutzlos bleiben.“ Mihaly Csikszentmihalyi

Soll heißen: Wer es nicht auf die Reihe bekommt, in bescheidenen Verhältnissen glücklich zu sein, der wird es auch nicht schaffen, wenn seine Brieftasche prall gefüllt ist. Erfüllung und Reichtum sind zwei verschiedene Dinge – dies soll hier aufgezeigt werden. Es geht nicht darum, was wir haben, sondern darum, wie wir unser Leben erfahren.

Flow – die Psychologie der optimalen Erfahrung

Unser gesamtes Leben ist Erfahrung – wir erfahren unsere Umwelt, uns selbst, unsere Gefühle und Gedanken. Mehr haben wir nicht. Mehr sind wir nicht. In dem Buch Flow: Das Geheimnis des Glücks des Psychologen Mihaly Csikszentmihalyi geht es um die optimale Erfahrung. (Alle Zitate, die im Folgenden nicht weiter gekennzeichnet sind, entstammen diesem Buch.)

Die optimale Erfahrung ist ein Hochgenuss für jedes Lebewesen. Der Moment, an dem alles stimmt, man sich selbst vergisst und vollkommen in dem aufgeht, was man gerade macht. Man wird zur Tätigkeit. Wie der Segler, dessen Boot wie ein junges Pferd durch die raue See prescht, während der Wind sein Haar durchpeitscht. Den Blick gen Horizont. Alles vergessen, was hinter ihm liegt. All den Schlamm, die Probleme und die geistige Unordnung. Das sind die besten Momente unseres Lebens. Das sind Flow-Momente…

„Flow hilft, das Selbst zu integrieren, weil das Bewusstsein im Zustand höchster Konzentration gewöhnlich gut geordnet ist. Gedanken, Absichten, Gefühle und alle Sinne sind auf das gleiche Ziel gerichtet. Diese Erfahrung heißt Harmonie. Und wenn diese Flow-Episode vorbei ist, fühlt man sich ‚gesammelter‘ als zuvor, nicht nur innerlich, sondern auch mit Blick auf andere Menschen und die Welt im allgemeinen.“

„Flow ist wichtig, weil er den Moment der Gegenwart erfreulicher macht und weil er das Selbstvertrauen stärkt, das uns ermöglicht, Fähigkeiten zu entwickeln und bedeutsame Beiträge für die Menschheit zu leisten.“

Im Flow geht es darum, zu erkennen, dass man ein einziges zielgerichtetes „Fließen“ ist. Ein Fließen, dass uns in unserer Entwicklung voran bringt und unser Selbst stärkt.

Die Bedeutung von Zielen

Die Verfolgung eines Zieles bringt Ordnung in unser Bewusstsein!

Es geht nicht nur darum, Muskeln aufzubauen oder erfolgreich im eigenen Beruf zu werden. Es geht um ein lebenswertes Leben. Ein Leben mit einem Ziel, für das man bereit ist zu kämpfen. Ein Ziel, für das man bereit ist, morgens aufzustehen, zu streben und zu sterben. Wenn man nichts hat, wofür man bereit ist zu sterben, dann hat man auch nichts, wofür es sich lohnt zu leben.

Hast Du etwas oder jemanden, für den Du bereit wärst, zu sterben? Nein? Wofür lebst Du dann überhaupt? Welche Momente in Deinem Leben erfüllen Dich? Hast Du Ideale? Ein Ziel? Bist Du glücklich? Verstehst Du den Zusammenhang von zielgerichtetem Streben und persönlicher Erfüllung? Wenn es nichts Wichtigeres für Dich gibt, als Dich an Dein eigenes Leben zu klammern, dann bist Du schon längst tot. Suche Dir ein Ziel…

„Wenn wir ein Ziel wählen und uns bis an die Grenzen unserer Konzentration in dieses Ziel hineinversetzen, wird alles, was wir tun, erfreulich.“

Ist Dein Leben erfreulich? Oder fühlst Du Dich eher planlos? Oftmals sogar fehl am Platze? Mies gelaunt? Denkst Du nicht, dass das auch an Dir selbst liegen könnte? Du lässt die Zügel schleifen, lässt Dich einfach so durchs Leben treiben… Wohl klar, dass Dich das weder voran bringt noch erfüllt. Wie viel Spaß bereitet es wohl, Tag für Tag ohne ein festes, lohnendes Ziel durch das Leben zu traben?

„Wenn man seinen Weg nicht kontrolliert, wenn man sich keine Ziele setzt oder Fähigkeiten entwickelt, bleibt das Gehen einfach nur langweilige Mühsal.“

Ich bin dann mal weiter – Selbstüberwindung

Ein Mensch wächst dann am stärksten, wenn er sich mit voller Hingabe einer Sache widmet, die größer ist als er selbst. Normalerweise machen wir uns Gedanken und Sorgen über alle nur erdenklichen Nichtigkeiten: Sitzt meine Frisur? Habe ich den Müll rausgebracht? Was denkt mein Nachbar über mich? Was soll nur aus mir werden? Was kommt heute Abend wohl im Fernsehen? Die Schuhe muss ich mir unbedingt kaufen usw.

Teil von etwas Größerem, Bedeutenderem zu sein, erlaubt uns, diesen geistigen Horizont der Beschränktheit zu überwinden, indem wir uns selbst vergessen und auf Wichtigeres konzentrieren. Das Streben und Leben für ein bestimmtes Ziel – ganz gleich, welches es auch sein mag – erlaubt uns, in dieser Tätigkeit vollkommen aufzugehen. Wenn wir es schaffen, uns nicht andauernd wieder davon ablenken zu lassen. Befinden wir uns inmitten eines Flow-Momentes. Dann ist all dies wie weggefegt. Dann gibt es nur noch den Moment – den Moment, in dem alles stimmt.

Im Flow vermag man sich selbst zu überwinden und damit auch die eigene Kleingeistigkeit und Beschränktheit. Selbstüberwindung bedeutet jedoch nicht Verlust des Selbst. Vielmehr ist es eine Ausweitung, die unseren Horizont erweitert und unsere Persönlichkeit komplexer werden lässt. Die uns bewusst macht, dass es schei*#egal ist, wie die Kaffeetassen im Küchenschrank stehen und das jedes Leben erbärmlich beschränkt ist, dass sich schwerpunktmäßig nur um derartige Belanglosigkeiten dreht. Es gibt so viel mehr… Es wird Zeit, sich mit der Faszination der großen weiten Welt zu beschäftigen.

„Der Verlust des Selbstgefühls kann zur Selbsttranszendenz führen, einem Gefühl, dass die Grenzen des Seins ausgedehnt werden können.“

Die Verschwendung…

geistigen Potenziales ist weit verbreitet. Wie viel Prozent der Gedanken, die wir uns täglich machen, folgen wohl einem höheren Ziel? Wie viel gehen daran vorbei und sind kaum von Bedeutung? Ich kenne nur meine Gedanken und die Bilanz ist katastrophal. Jeden Tag aufs Neue versuche ich, mich auf Dinge zu konzentrieren, die bedeutender sind als ich selbst (was ja nicht gerade schwer sein sollte), aber regelmäßig werde ich wieder zurückgerissen in die Gedankenwelt gesellschaftlicher, biologischer und häuslicher Verwirrungen.

Die mir immanenten Leidenschaften, die nur Leiden schaffen, sind tückisch und stark. Es gilt, sie zu beherrschen, denn sie bringen mich nicht voran. Lenken mich ab. Neid, Kummer, Angst und Begierde. Die kindlichen Affekte des unreifen Geistes bereiten Chaos im Denken. Führen in die Irre. Machen den unglücklich, der sich ihnen ergibt. Aber auch den stark, der sich ihnen zu widersetzen weiß.

Die eigene Aufmerksamkeit zu steuern und sich selbst zu überwinden, gehört zu den größten Künsten, in denen sich ein Mensch nur üben kann.

Körperlich sieht es nicht anders aus: 

„Jeder Mensch, wie fit oder untrainiert er auch sein mag, kann ein wenig höher steigen, ein wenig schneller gehen, ein bisschen stärker werden. Die Freude, die Grenzen des eigenen Körpers zu überschreiten, steht allen zur Verfügung.“

Den Flow in der körperlichen Tätigkeit zu erleben, ist ein wahrer Hochgenuss. Hier darf man sich ebenfalls nicht ablenken lassen, muss im eigenen Element sein. Jeder der ernsthaft und mit Leidenschaft am Eisen trainiert, Berge erklimmt oder ähnliche Leistungen vollbringt, kennt diese Momente, an denen einfach alles stimmt. Sie scheinen rar gesät. Ob wir sie erleben liegt jedoch weniger am Zufall oder den Umständen, sondern vor allem an uns selbst.

Es geht um Selbstbeherrschung

„Wenn man gut Trompete spielen will, darf man nicht mehr als ein paar Tage ohne Üben verstreichen lassen. Ein Sprinter, der nicht regelmäßig trainiert, gerät außer Form und hat bald keine Freude mehr am Laufen. Jeder Manager weiß, dass seine Firma zusammenbricht, wenn er sich nicht mit ihr befasst. Ohne Konzentration verfällt eine komplexe Aktivität in Chaos.“

Wir können uns ablenken lassen oder lernen, uns zu beherrschen. Entscheiden wir uns für den zweiten – richtigen – Weg, so nehmen wir die Zügel über unsere Erfahrung in die Hand. So erlangen wir die Macht über unser eigenes Leben und Erleben. Dann werden wir verstehen, dass Glück und Erfüllung nicht durch äußerer Umstände bestimmt sind, sondern allein durch uns selbst.

„Ein Mensch kann sich glücklich oder unglücklich machen, unabhängig davon, was tatsächlich ‚draußen‘ geschieht, indem er einfach den Inhalt seines Bewusstseins verändert.“

Sehen wir uns das Leben starker Persönlichkeiten an, die vom Leben arg gebeutelt wurden und es dennoch locker genommen haben, dann wissen wir, dass dies möglich ist. Sokrates griff zum Schierlingsbecher als wäre es Wein – während die ihm nahe Stehenden sich der Verzweiflung anheim gaben, entschied er sich dafür, dass seine Tugend wichtiger war als sein Leben. Die Möglichkeit zur Flucht lehnte er ab. Er wollte sich nicht davon schleichen, seinem Urteil entziehen. Er wollte lieber stehend sterben, als kniend leben.

Wenden wir uns den Gräueltaten der Moderne zu: Den Konzentrationslagern des 3. Reiches. Hier wurden Menschen plötzlich aus ihrem Alltag gerissen. Die Illusion eines sicheren normalen Lebens – an die sich fast alle Menschen klammern – zersprang just in tausend Scherben. Kinder wurden ihren Müttern entrissen, Körper misshandelt, Geister gebrochen. Wer sich unter diesen Umständen nicht zu beherrschen wusste, verfiel einer chaotischen Gedankenwelt. Als die äußeren Lebensbedingungen zusammenstürzten wie ein Kartenhaus, war für viele nichts mehr da, woran sie sich orientieren konnten. Verzweiflung machte sich breit, Realität wurde geleugnet, Galgenhumor gepflegt. Rasant stumpfte man ab. Nahm kaum noch Notiz von den Verbrechen und Todesfällen um einen herum. Die Hölle drang in den Geist ein und zerstörte alles menschliche. Viele gaben auf und suchten freiwillig den Tod.

Viktor Frankl, ein Wiener Psychologe, hingegen wollte sich selbst nicht dem Chaos überlassen. Er wollte nicht wie so viele andere „in den Draht laufen“, der vor allem durch Stacheln und Hochspannung gekennzeichnet war. Obwohl in Auschwitz gefangen, wollte er … trotzdem Ja zum Leben sagen.

Sein Report zeugt davon, wie es ihm selbst unter unmenschlichen Bedingungen gelingt, ein geordnetes Leben zu führen. Ein Leben, in dem er der Herr blieb – unabhängig der äußeren Tatsache, dass sein Körper gefangen, geschunden und kurz vor dem Verhungern war. Er verstand es, seine Erfahrung zu lenken, seinem Leiden einen Sinn zu geben. Wer dazu fähig ist, den vermag nichts zu brechen. Das Schlimmste für einen Menschen ist nicht Leid, sondern der Verlust jeglichen Lebenssinnes.

Die äußeren Stützen unseres gegenwärtigen Lebens sind kein verlässliches Fundament für ein erfülltes Leben. Sie sind nichts weiter als Fassaden. Wer sich an sie klammert, wird mit ihnen zusammenbrechen, wenn sie ins Wanken geraten. Nur wer sich Autonomie im eigenen Bewusstsein erschafft, wird auch dort noch Mut bewahren, wo alle anderen verzweifeln. Das wusste bereits der römische Kaiser Marc Aurel:

„Wenn Dich äußere Dinge quälen, so sind nicht diese es, die Dich stören, sondern Dein eigenes Urteil über sie. Und es steht in Deiner eigenen Macht, dieses Urteil auszulöschen.“

Unsere Gesellschaft steht auf tönernen Füßen. Ist blind für diese Zusammenhänge. Philosophisch vollkommen zurückgeblieben. In der Schule lernt man nichts über Viktor Frankl oder Mark Aurel. Im Fernsehen sieht man nur oberflächliche Scheiße, die sich an falschen Idealen orientiert. Kollektiv hecheln wir der Anhäufung äußerer Güter hinterher und lassen uns von unseren Affekten beherrschen – viele sind dafür bereit, ihre Würde in den Dreck zu ziehen und ihre Freunde zu verraten. Doch glücklich werden sie so nie. Sie bellen den falschen Busch an. Sind abhängig von äußeren Bedingungen. Oft genug werden sie stolpern und in die Gruben fallen, die sie anderen gegraben haben. Aus dem Fenster springen, wenn ihre Aktien fallen. Sie sind nichts weiter als Fähnchen im Wind. Gelangweilt und schwach bei Flaute, hin und hergerissen bei Sturm, einzig nach der vorherrschenden Richtung orientiert.

Wahre Stärke jedoch entsteht durch Selbstbeherrschung und Tugendhaftigkeit. Wie einem das eigene Leben gefällt, hängt letzten Endes weniger von Tatsachen ab – vielmehr davon, wie man damit umgeht. Wahrhaft glücklich kann nur der werden, der sich nicht von äußerem Glück abhängig macht. Oder wie Seneca es formuliert hat:

„Unser Glück ist, dass wir des Glückes nicht bedürfen.“

Pipapo – Die Überbewertung des Vergnügens

„Schlaf, Ruhe, Essen und Sex verschaffen einem homöostatische Erfahrungen, die das Bewusstsein ordnen, wenn die Bedürfnisse des Körpers sich bemerkbar gemacht und psychische Entropie ausgelöst haben. Aber sie bewirken kein psychologisches Wachstum. Sie vermitteln dem Selbst keine Komplexität. Vergnügen hilft, die Ordnung aufrechtzuerhalten, doch an sich kann es keine neue Ordnung im Bewusstsein schaffen.“

Ein weiteres Problem unserer Gesellschaft ist die Überbewertung des Vergnügens. Versteht mich nicht falsch. Vergnügen ist schön. Aber whatever… Was nützt uns das? Bringt uns das weiter? Es versüßt uns den Moment, aber wachsen werden wir daran nicht. Kurzfristig schafft es Ordnung im Geist. Vermag das Chaos ungeordneter Gedanken, verwirrender Affekte zu unterbinden. Essen, Schlafen, Faulenzen und Feiern lenken uns von unseren Problemen ab. Deswegen entwickeln viele Menschen hier gar zwanghaftes Verhalten und werden so fett, träge und versoffen. Den Haken an der Sache ignorieren sie jedoch: Probleme auszublenden, löst sie nicht.

Mit dem Chaos im Hinterkopf, den Problemen im Unbewussten kann so auch niemals wahre Freude entstehen. Eine solche stellt sich nur dann ein, wenn man sich den Forderungen des Lebens stellt und beginnt, die eigenen Probleme zu bewältigen. Übertreffen wir dabei sogar noch die Erwartungen, so wird die Freude umso größer. Das sind die Momente, an denen wir wachsen. Momente, die wir suchen und bewältigen sollten, wollen wir uns zu einem erfüllteren und komplexeren Wesen entwickeln.

„Aus diesem Grund ist Vergnügen so flüchtig, wächst das Selbst lediglich aufgrund angenehmer Erfahrungen nicht. Um Komplexität zu erreichen, muss man psychische Energie in neue Ziele investieren, die eine Herausforderung darstellen.“

Die Kontrolle über Arbeit und Freizeit

Es sollte Ziel eines jeden Menschen sein, dass seine Arbeit in sinnvollem Zusammenhang zu seiner Identität steht. Mag ihm dies nicht gelingen, so muss er härter an der Verwirklichung dieser Vision arbeiten. Denn schafft er es, Erfüllung in seiner Arbeit zu finden, so wird er beginnen, sie zu lieben. Feiertage und Ferien wird er nicht benötigen – eher werden sie ihm als Bestrafung erscheinen.

Wie wir jedoch bereits gelernt haben, sind Stelle und Stellung an sich sekundär. Der Traumjob ist ebenso wie Reichtum eine nette Zugabe. Die eigene Erfüllung hängt jedoch nicht davon ab. Psychisch starke Menschen schaffen es, in jeder Tätigkeit den Flow zu entdecken. Selbst in scheinbar hirnlosen Tätigkeiten ist es möglich, sich selbst, die eigenen Handlungen, Haltungen und Gedanken zu verbessern. Gibt es in unserer Umgebung keine Herausforderungen, an denen wir wachsen können, so müssen wir sie uns selbst schaffen – sei es, indem wir einen spielerischen Umgang mit den Dingen aufnehmen oder versuchen, Perfektion im einfachen Handeln zu erreichen.

Vermag ein Mensch es, selbst im KZ Sinn zu stiften, so ist dies am Fließband oder der Kasse ein Leichtes. Man kann z.B. versuchen, immer schneller zu arbeiten, immer weniger Fehler zu machen oder jedem Kunden ein Lächeln zu entlocken. Das mag sich nach kindischen Spielereien anhören. Aber selbst solche kleineren Herausforderungen schaffen Ordnung im Bewusstsein, bereiten Spaß und tragen zu unserer Entwicklung bei. Zudem verhindern sie, dass wir am Trott ewig gleicher Handlungen verrückt werden, indem sich unsere Affekte wieder zu Wort melden und unseren Geist mit Habsucht, Gier, Lust und Hass vergiften. Der Geist will beschäftigt werden. Ein Grund, weshalb Cardio auf Geräten sehr schnell nervig werden kann – wenn man dabei nicht liest, fernsieht, Musik hört oder herausfordernd denkt.

Einöde und Abstumpfung entstehen im Geist, wenn man seine Zügel schleifen lässt. Die Erfüllung im Beruf ist unabhängig seiner Umstände. Sie liegt im Berufenen selbst. Auch in unserer Freizeit gilt diese Regel. Aber wir nutzen unsere kostbare Zeit nicht. Wir verschwenden sie. Kaum kommen wir nach Hause. Oftmals gestresst von dem Beruf, den wir versäumen, erfüllend zu gestalten, und was kommt dann? Internet, Fernsehen, Verdrängung. Ablenkung durch oberflächliche Vergnügungen, die kurzfristig Ordnung im Geist schaffen und unsere Unzufriedenheit verdrängen. Doch wachsen werden wir daran nicht. Wir müssen aktiv werden. Die mannigfaltigen Ablenkungen der Freizeitindustrie, sind nur ein fader Abgeschmack der Erfüllung der eigenen Zeit, die man bei der Bewältigung echter Herausforderungen erfährt. Ein paar Tasten auf der Tastatur oder Fernbedienung zu drücken, ist sicherlich keine große Herausforderung.

„Flow-Erfahrungen, die aufgrund des Einsatzes von Fähigkeiten eintreten, führen zu Wachstum, passive Unterhaltung führt nirgendwohin.“

Der rein passive Konsum der Massenmedien ist die Geißel unserer Gesellschaft. Ein Hauptgrund dafür, dass die meisten Menschen in künstlichen Vorstellungen leben und nur vor sich hin träumen, anstatt wirklich zu leben. Sie fressen uns von innen heraus auf, machen uns glauben, dass wir Erfahrungen machen, die wir jedoch in der wahren Realität niemals machen werden, wenn wir es nicht schaffen, unseren Arsch hochzukriegen und vor die Tür zu gehen.

„Die Energie, die man auf komplexe Ziele richten könnte, um erfreuliches Wachstum zu schaffen, wird an Anregungen verschwendet, die die Realität bloß nachäffen. Massenfreizeit, Massenkultur und sogar die gehobene Kultur sind Parasiten des Geistes, wenn man sich nur passiv und aus äußerlichen Gründen daran beteiligt – wie aus dem Wunsch heraus, mit seinem Status anzugeben. Sie absorbieren psychische Energie, ohne dafür echte Kraft zurückzugeben.“

Der Tenor ist wohl klar: 

„Wenn man nicht die Kontrolle über Arbeit und Freizeit übernimmt, werden beide nur enttäuschen.“

Die Flow-Gesellschaft

Nach welchem Maßstab wollen wir eine, wollen wir unsere Gesellschaft bemessen? Fragt man mich, so bin ich mir sicher: Wir fahren auf dem falschen Dampfer! Schaut man sich unsere Gesellschaft sowie ihre Oberflächlichkeit, Probleme und falschen – durch die Massenmedien und angeblichen Vorbilder verbreiteten – Leitbilder an, so kommt man zu demselben Schluss. Nur wenige unserer Mitmenschen sind wirklich glücklich. Gehen in dem auf, was sie machen. Sind komplexe Persönlichkeiten. Bist Du wirklich erfüllt? Wie viele Deiner Freunde, Kollegen und Familienmitglieder sind es?

Kaum jemand schafft es, von sich heraus eine eigene Flow-Persönlichkeit zu entwickeln. Die meisten benötigen einen kleinen (oder größeren) Stups in die richtige Richtung. Eine Gesellschaft, die es schafft, dies zu bewerkstelligen… die es schafft, ihren Mitgliedern zu einem erfüllten Leben voller Selbstverwirklichung zu verhelfen, die ist auf dem richtigen Weg.

Nicht materielle Anreize, sondern ideelle Herausforderungen sind es, die es zu gestalten gibt. Menschen arbeiten besser, wenn sie sich mit ihrem Projekt identifizieren können. Und nicht, indem man sie besser dafür bezahlt. Herz und Seele kann man nicht kaufen. Man muss sie bewegen, motivieren, mit Sinn erfüllen. Dann werden sie erblühen und Neues, Besseres schaffen. Unsere Gesellschaft jedoch schippert vollkommen an diesem Ideal vorbei. Der schnöde Mammon und das Vergnügen haben es ihr angetan und dafür verrottet das Potenzial vieler Millionen vor dem abendlichen Fernseher und in einem entfremdeten Arbeitsmilieu. Es beschämt mich Teil dieser unterentwickelten Gemeinschaft zu sein… noch mehr beschämt es mich, oft genug selbst in ihre Machenschaften verstrickt zu sein. Das ist nicht mein Leben.

„Es ist völlig irrational, das Leben ausschließlich ökonomisch zu betrachten; der wahre Wert besteht in der Qualität und Komplexität der Erfahrung. Eine Gemeinschaft sollte nicht nur als gut bezeichnet werden, weil sie technologisch fortgeschritten ist oder in materiellem Reichtum schwimmt. Sie ist gut, wenn sie den Menschen eine Chance bietet, so viele Aspekte ihres Lebens wie möglich zu genießen, während sie ihnen gleichzeitig ermöglicht, ihr Potential bei der Verfolgung noch größerer Herausforderungen zu entwickeln.“

Die Verantwortlichen an den Schaltstellen der Macht machen es nicht besser… eher schlechter. Die meisten sind käuflich, lechzen nach Status und Besitz, sind unerfüllt. Hinterziehen Steuern, obwohl sich die Millionen auf dem Konto türmen. Entscheiden nach ökonomischen Gesichtspunkten. Kennen keine Skrupel. Haben keinen Sinn für Philosophie. Mit den lieben Promis ist es nicht anders. Die meisten sind so komplex wie die letzte Seite der Bildzeitung. So tiefgründig wie ein Sandkasten. Und doch behandelt man sie wie Götter. Dass derartige Witzfiguren Leitbilder für unserer Kultur sind, wirft kein gutes Licht auf uns. Die Zeit der großen Dichter und Denker scheint vorbei, Dekadenz und Völlerei sind am Ball. Der Hochmut ist unser Fall.

Wir müssen uns an die eigene Nase fassen. Wir sind viel zu träge. Bekommen den Arsch nicht hoch. Verschwenden unsere Zeit und treiben diese ganze Maschinerie von Konsum und Oberflächlichkeit munter mit an. Um unsere eigene Entwicklung kümmern wir uns kaum. Nach der Schule bzw. Uni legen wir die Bücher aus der Hand. Hören auf zu lernen. Wir leben weiter, aber wir entwickeln uns nicht weiter. Bleiben zurück. Wo bitteschön ist unsere Eigenverantwortung geblieben? Wie wäre es, auch mal ein Buch zu lesen oder zwei oder zwanzig? Wann ging es das letzte Mal um Philosophie? Um Selbstbeherrschung, Selbstüberwindung und Reflektion? Wer aufhört zu lernen, hört auf zu leben.

„Idealerweise sollte am Ende der extrinsischen Ausbildung der Beginn einer Bildung stehen, die intrinsisch motiviert ist.“

Der Untergang beginnt in jungen Jahren. Die Beschränkung wird früh gesät. Die Jugend ist verkommen. Innen hohl. Auf Konsum und Massenmedien ausgerichtet. Das ist meine Generation. Sie ist in Frieden und Überfluss aufgewachsen, also schwach und verwöhnt. Sie verlässt sich auf die Stabilität und Sicherheit äußerer Umstände. Kennt nichts anderes. Weiß nichts anderes. Strebt nichts anderes an. Der Blick nach innen findet nicht statt. Das dicke Ende wird noch kommen…

„Jugendliche, die nicht lernen, ihr Bewusstsein zu kontrollieren, werden zu Erwachsenen ohne Disziplin.“

Die Bewältigung von Schicksalsschlägen

Manche lassen sich von Schicksalsschlägen herunterziehen. Andere wiederum beißen die Zähne zusammen, entdecken auch in der schlimmste Lage noch die Herausforderung und die Möglichkeit zu konstruktiver Bewältigung. Letzteres ist die beste Möglichkeit, mit dem Leben fertig zu werden und sich wahre Anerkennung zu verdienen. Seneca brachte es auf den Punkt:

„Wohlergehen in Verbindung mit Reichtum ist erwünscht, aber das Wohlbefinden in Verbindung mit Pech wird bewundert.“

Wie stehts bei Dir? Lässt Du Dich von den Umständen beeinträchtigen? Gar herabdrücken? Und wanderst Du durchs finstere Tal, wie gehst Du dann damit um? Beginnst Du zu heulen, Dich selbst zu bemitleiden… oder machst Du das Beste daraus?

„Von allen Tugenden, die man uns beibringt, ist keine nützlicher, wichtiger zum Überleben und geeigneter, die Lebensqualität zu verbessern, als die Fähigkeit, Widerstände in eine erfreuliche Herausforderung umzuwandeln.“

Mach Dir eines ganz klar: Erfahrung ist nicht das, was mit einem Menschen geschieht, sondern das, was er daraus macht. Das Prinzip dahinter ist nicht neu. Nichts besonderes. Vielmehr ist es sogar die Grundlage der Natur und Technik – wenn es darum geht, höhere Ordnung zu erschaffen. Die Wiege unserer komplexen Welt.

Pflanzen und Maschinen nutzten ungeordnete oder gar zerstörerische Energie und wandeln sie in konstruktive Energie um. Die Photosynthese nutzt die diffuse destruktive Sonnenstrahlung und formt daraus geordnete Energie in Form von Glucose. Die Basis unserer Biosphäre. Die Umwandlung von Chaos in Kosmos (gr. für Ordnung). Herbivoren (Pflanzenfresser) nutzen diese geordnete Energie, um dadurch ihr komplexes Leben aufrecht zu erhalten, um ihren Körper mit Baumaterial und Energie zu versorgen. Carnivoren (Fleischfresser) tun sich dann an diesen gütlich und entwickeln sich auf diese Weise zu noch komplexeren Lebewesen.

An der Spitze steht der Mensch: Durch seine Intelligenz erschuf er Maschinen, in denen er die Energie, die in den Überresten längst verstorbener Lebewesen konserviert ist (fossile Brennstoffe), für sich nutzen kann. In Lokomotiven, Hochöfen und ähnlichen Geräten ist es ihm möglich, die an sich nutzlose Energie in die Bewältigung komplexer Tätigkeiten umzuwandeln und für seine Zwecke zu nutzen… um höhere Ordnung dadurch zu schaffen. Der träge anlaufende Umschwung auf Energien, die nicht mehr von fossilen Brennstoffen abhängig sind, wird eine weitere Stufe der Entwicklung der Menschheit zu einer komplexeren Ordnung werden. Es gilt, möglichst viel Ordnung zu schaffen – mit möglichst wenig Abfall und chaotischen Nebenwirkungen.

Strukturen, die derartiges ermöglichen, werden als „dissipative Strukturen“ bezeichnet.

Nun jedoch zum Knackpunkt der ganzen Geschichte. Der menschliche Geist funktioniert nach ähnlichen Prinzipien. Er geht nicht an dem zugrunde, was ihm widerfährt. Er geht nur dann daran zugrunde, wenn er es nicht schafft, destruktive (oder neutrale) Erlebnisse in positive Erfahrungen umzuwandeln. Ob uns das Leben fi*#‘, langweilt oder erfüllt, liegt nicht an der Welt da draußen. Es liegt einzig und allein daran, wie gut wir uns darauf verstehen, aus all diesem Chaos eine gewisse Ordnung entstehen zu lassen. Eine Ordnung, die uns positiv stimmt und erfüllt.

Aus der eigenen Psyche eine dissipative Struktur zu formen, ist nicht einfach – zumindest wenn man nicht von Natur aus ein unerschütterlicher Sonnenschein ist. Und wer ist das schon? Aber Du, mein lieber Leser, bist dazu in der Lage, die Widrigkeiten Deines Daseins allesamt zu meistern. Oder Du gehst daran zugrunde. Shit happens. Zumindest solltest Du es versuchen. Sei tugendhaft. Memento mori – Bedenke, dass Du sterben wirst. Überwinde die Todesfurcht und Du wirst auch die Furcht vor dem Leben verlieren. Alle Erfahrungen, die sich unterhalb Deines Todes ansiedeln lassen, liegen in Deiner Hand. Ergreife sie und forme sie so, dass sie Dich stützen und nicht erdrücken.

„Aus diesem Grund sind Tapferkeit, Widerstandskraft und Hartnäckigkeit – die dissipativen Strukturen der Seele – als reife Verteidigungsmaßnahmen oder transformative Bewältigung so wichtig. Ohne sie würde man unter ständiger Bombardierung freier psychischer Meteoriten leiden. Wenn wir jedoch diese positiven Strategien entwickeln, können die meisten negativen Ereignisse zumindest neutralisiert, möglicherweise sogar als Herausforderung genutzt werden und dem Selbst helfen, stärker und komplexer zu werden.“

Selbst Deine Vergangenheit kannst Du verändern – wenn Du es schaffst, Deine Perspektive dazu in den Griff zu bekommen. Verbrenne das Fett Deiner Seele, um mal mit Hemingways Worten zu sprechen. Verlass die Opferperspektive. Hör auf Dir Sorgen zu machen und Schuld einzureden. Ziehe Lehren und orientiere Dich nach vorne!

Und vor allem: Hör auf, Dich andauernd um Dich selbst zu drehen, Dir Sorgen über nichts zu machen und Dich nach den Nichtigkeiten zu verzehren, die Dir die Medien ins Gehirn scheißen. Konzentriere Dich auf Wichtigeres, Umfassenderes, Komplexeres.

„Menschen, die Stress zu erfreulichen Herausforderungen umformen können, verbringen nur sehr wenig Zeit mit Gedanken an sich selbst. Sie verschwenden nicht sämtliche Energie bei dem Versuch, zu befriedigen, was sie für ihre Bedürfnisse halten, oder in Sorge um gesellschaftlich konditionierte Wünsche.“

Des Pudels Kern

„Wir haben wiederholt gezeigt, dass nicht äußere Kräfte bestimmen, ob widrige Umstände in eine positive Erfahrung gekehrt werden können. Jemand, der gesund, reich, stark und mächtig ist, hat keine größere Chance, sein Bewusstsein zu steuern, als jemand, der krank, arm, schwach und unterdrückt ist. Der Unterschied zwischen jemandem, der das Leben genießt, und jemandem, den es überfordert, beruht auf einer Kombination äußerer Faktoren und der Art und Weise, wie man diese deutet – d.h., ob Herausforderungen als Bedrohungen betrachtet werden oder als Handlungsmöglichkeiten.“

Geh Sinn stiften

Viele Menschen erleben Flow nur in bestimmten Phasen. Während der Arbeit, während des Trainings, des Feierns oder beim Sex. Ansonsten fühlen sie sich eher tot, gelangweilt, unterfordert. Ich hoffe, nun ist klar, dass dies selbstverschuldet ist. Wer das Leben nicht genießt, der ist selber schuld. Selbst aus den kleinsten Dingen – wie z.B. der richtigen Haltung, Atmung oder Gestikulation – kann man Herausforderungen schaffen.

Einen wirklichen Sinn in seinem Dasein wird nur der empfinden, der in persönlicher Erfüllung lebt – ganz gleich, wie er sie auch erlangen mag. Eine Teilzeit-Erfüllung, wie sie soeben beschrieben wurde, steht diesem Ansinnen im Wege. Kläre die Verhältnisse: Hast Du etwas im Leben, das Dich nicht erfüllt, dann streiche es oder finde die Herausforderung darin. Das wird Dein Leben verbessern. Klingt komisch… is aber so.

„Wenn man optimale Erfahrung erreichen will, muss man Harmonie in allem finden, was man tut.“

Die Welt ist komplex – so auch Dein Leben. Aber hast Du es auch im Griff? Hast Du die übergreifende Ordnung erkannt? Die Teile sinnvoll zusammengefügt zu einem großen Ganzen? Zu Deinem Leben? Bist Du stabil?

„Solange die Freude Stück für Stück aufgrund von Tätigkeiten entsteht, die nicht sinnvoll miteinander verbunden sind, bleibt man für die Abschweifungen ins Chaos anfällig.“

Also komma klar mit Deinem Leben. Du hast nur eines!

(Bilderquelle: Alex E. Proimos)

Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Dr. Christian Zippel, Personal Trainer, Doktor der Philosophie und Autor von „Der Wille zur Kraft„, „HFT – Hochfrequenztraining & Auto-Regulation„, „rosenrot – oder die Illusion der Wirklichkeit“ und „Leider geil, fett und faul„.