Moderne Ernährungsformen sind fast immer zu einseitig. Oftmals werden bestimmte Lebensmittelgruppen ausgeschlossen, manchmal wird die Zufuhr sogar auf 1-2 Lebensmittel beschränkt. Als Faustregel gilt: Je einseitiger eine Ernährung, desto ungesünder und weniger effektiv ist sie. Soweit eigentlich nichts Neues, denn so ziemlich jeder Athlet, der sich mit dem Thema Ernährung zumindest ein bisschen beschäftigt hat, weiß, dass einseitige Ernährungsformen zu Mangelerscheinungen führen. Athleten setzen daher klassischerweise auf eine Vielzahl von Lebensmitteln, also auf einen gewissen Variationsreichtum. Das ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung, aber es geht noch nicht weit genug, denn auch Athleten machen oftmals eine spezielle Einschränkung. Je nach Überzeugung wird speziell beim Fettabbau entweder die Kohlenhydratzufuhr oder die Fettzufuhr reduziert. Das heißt Low-Carb oder Low-Fat Diät. Das ist längerfristig gesehen ein Problem, denn irgendwann „rostet“ der Stoffwechsel ein. In diesem Artikel möchte ich erklären, warum grundsätzliche Low-Carb oder Low-Fat Einschränkungen ein Fehler sind bzw. wieso man beispielsweise eine Low-Carb Diät nicht langfristig umsetzen sollte.

Stoffwechselflexibilität

Der Mensch ist ein flexibles Wesen. Die Adaptionsfähigkeit unseres Körpers ist gewaltig. Er kann sich an die verschiedensten Lebensumstände anpassen – nicht zuletzt deshalb findet sich die Spezies Mensch auch nahezu auf dem gesamten Planeten wieder – von Gebirgen über die Antarktis bis hin zu Wüsten und Steppen.
Also halten wir fest: Menschen passen sich an die Lebensumstände an.
Genau das passiert auch bei einseitigen Ernährungsformen. Hier passt sich der Stoffwechsel an und verliert mit der Zeit seine Flexibilität. Je länger ich mich mit dem Thema befasst habe, desto größer wurde meine Überzeugung, dass die Stoffwechselflexibilität ein enorm wichtiger Aspekt der Fitness ist.
Aber was ist damit überhaupt gemeint? In diesem Fall bezieht sie sich auf die Verwertung von Kohlenhydraten und Fetten, den beiden Hauptenergieträgern. Dazu gibt es den Kohlenhydrat- und den Fettstoffwechsel. Je nach Ernährung, favorisiert der Körper in der Regel eine der beiden Nährstoffe, sodass der jeweils andere Stoffwechsel ineffizient wird.

Beispiel Low-Fat Ernährung

Nehmen wir als Beispiel eine kohlenhydratreiche, fettarme Ernährung, wie sie in der westlichen Welt ja generell verbreitet ist. Der Körper bekommt über einen längeren Zeitraum hauptsächlich Kohlenhydrate als Energiequelle (Proteine können in Glucose (also Kohlenhydrate) umgewandelt werden) und muss sich daran nun anpassen. Er optimiert seinen Kohlenhydratstoffwechsel und die Organe gewöhnen sich an die Verwendung von Kohlenhydraten. Allen voran ist hier das Gehirn zu nennen, welches den Körper kontrolliert und damit alle anderen Organe dominiert. Das Gehirn wird mit der Zeit verlernen, die notwendigen Enzyme zu produzieren, um Fette (genauer gesagt Ketone) als Energiequelle zu nutzen. Würde nun die Kohlenhydratzufuhr einmal wegfallen, könnte das Gehirn mit der Energie aus den Fettdepots nicht allzu viel anfangen. Die Energie würde zwar von den Depots freigesetzt werden, das Gehirn könnte sie aber nicht verwenden. Daher würde dann ein gewisser Teil der Ketone ausgeschieden werden – ein Prozess, der auch als Ketose bekannt ist.

Das heißt unterm Strich, eine Low-Fat Diät führt im Prinzip dazu, dass der Fettstoffwechsel verkümmert – denn im menschlichen Körper verkümmert alles, was nicht genutzt wird. Use it or loose it.

Das Problem

…dabei ist, es können unvorhersehbare Situationen eintreten, wo diese Fähigkeiten dennoch benötigt werden. Was passiert Beispielsweise, wenn die Nahrungszufuhr eine Weile lang aussetzt? Wenn der Körper auf seine Fettreserven angewiesen ist? Bei einem verkümmerten Fettstoffwechsel und nicht angepassten Organen würde der Hunger unerträglich werden und Kopfschmerzen sowie im späteren Verlauf Müdigkeit die Leistungsfähigkeit stark reduzieren.
Davon abgesehen gibt es sowohl Kohlenhydrat- als auch Fettstoffwechsel aus einem sehr guten Grund: Sie werden beide zur optimalen Funktionsweise des Körpers benötigt. Fast den ganzen Tag über wird vor allem der Fettstoffwechsel gebraucht – er versorgt den Körper bei niedrigen Belastungsintensitäten mit der notwendigen Energie. Beim Joggen, Fahrradfahren, Laufen, Schreiben, Sitzen etc. ist normalerweise vor allem der Fettstoffwechsel aktiv. Es sei denn eine hohe Kohlenhydrat- und niedrige Fettzufuhr zwingen den Körper dazu, auf den Kohlenhydratstoffwechsel umzuschalten.

Der Kohlenhydratstoffwechsel ist im Normalfall nicht dazu gedacht, die notwendige Energie für alltägliche Aktivitäte bereitzustellen – denn ansonsten hätten wir deutlich größere Kohlenhydratspeicher (stattdessen sind sie vergleichsweise winzig). Kohlenhydrate werden vor allem bei intensiven Belastungen gebraucht. Beim Krafttraining, Sprinten, Kämpfen ist daher eher der Kohlenhydratstoffwechsel aktiv – es sei denn eine hohe Fettzufuhr und niedrige Kohlenhydratzufuhr zwingen den Körper dazu, auf den Fettstoffwechsel umzuschalten. In diesem Fall würde die Leistungsfähigkeit abnehmen.

Ganz so einfach

…ist es zwar nicht zu betrachten, denn der Körper hat verschiedene Notfallprogramme, um auf diverse Mangelsituationen angemessen reagieren zu können. Beispielsweise kann er Proteine, natürlich auch die körpereigenen, welche sich vor allem in den Muskeln befinden, zu Glukose umwandeln. Daher bricht die Leistungsfähigkeit bei einer Low Carb Diät auch nicht wirklich ein. Es sei denn es erfolgen sehr häufige und intensive Belastungen, denn dann würde der Körper mit der Energieversorgung nicht mehr hinterher kommen, sodass Leistungsfähigkeit und Immunsystem früher oder später einbrechen würden. Wer hart trainiert, benötigt auch eine gewisse Menge an Kohlenhydrate, um seine bestmögliche Leistung erbringen zu können.
Für den Fettabbau ist es kurzfristig zwar sehr gut, auf eine kohlenhydratarme Ernährung umzustellen, langfristig wird dadurch aber die Leistungsfähigkeit verringert, der Fettabbau kommt ins Stocken, Muskelaufbau fällt wenn überhaupt minimal aus und der Kohlenhydratstoffwechsel verkümmert. Letzteres ist vor allem dann schlecht, wenn eine Zeit der besonders intensiven körperlichen Belastung kommt. Vielleicht bei der Grundausbildung einer Armee, einem intensiven Trainingsplan oder was auch immer. Der Körper würde dann die Kohlenhydrate nicht mehr effizient verwerten. Der Großteil würde in den Fettdepots eingelagert werden, denn der Körper hat sich an die primäre Versorgung mit Fetten gewöhnt.
Davon abgesehen ist es gar nicht notwendig, eine kohlenhydratarme Ernährung langfristig durchzuziehen. Denn warum funktionieren Kohlenhydratarme Ernährungsstrategien überhaupt so gut für den Fettabbau? Das hängt einzig damit zusammen, dass wir uns in der westlichen Welt kohlenhydratreich ernähren und daher einen verkümmerten Fettstoffwechsel haben – dieser ist für den Fettabbau allerdings von großer Wichtigkeit, wie oben bereits erklärt. Was können wir daraus schließen?

Stoffwechselflexibilität: Der heilige Gral

Wer eine hohe Stoffwechselflexibilität besitzt, benötigt in keinster Weise einseitige Ernährungsformen. Das einzige was in diesem Fall zählt, ist das Kaloriendefizit.
Insgesamt führt das zur folgenden Schlussfolgerung: Der Stoffwechsel muss möglichst flexibel bleiben.
Es ist wichtig, dass der Körper unter allen Bedingungen hervorragend funktionieren kann. Das Zusammenspiel der Stoffwechselsituationen sollte perfekt harmonieren. Das ist einer der größten Leistungsbooster überhaupt. Eine hohe Stoffwechselflexibilität sorgt für mehr Power, Energie, Leistung. Müdigkeit und Energietiefs gibt es nicht, die Ernährung verliert an Einfluss, die Toleranz für „Ausrutscher“ wird größer.
Pre- und Post-Workout Nutrition sind mit einer hohen Stoffwechselflexibilität nicht mehr allzu wichtig. Ob nun Kohlenhydrate, Fette, Proteine oder auch alle drei zusammen zugeführt werden, spielt keine große Rolle, denn der Körper ist in der Lage in allen Situationen seine Leistung zu bringen – auch auf gänzlich leerem Magen. Aber das alles funktioniert eben nur mit einer hohen Stoffwechselflexibilität und das ist der Grund dafür, dass ich sie als eine der wichtigsten Eigenschaften von Fitness betrachte. Letztlich bestimmt der Stoffwechsel die Leistungsfähigkeit und damit die Fitness. Wer eine schlechte Stoffwechselflexibilität hat, kann nicht fit sein, denn in ungewohnten Situationen bricht seine Leistung ein.
Wie viele Bodybuilder kriegen Kopfschmerzen und erbringen schlechte Leistungen, wenn sie vor dem Training keine Kohlenhydrate essen? Wie viele Menschen bekommen Kopfschmerzen, starken Heißhunger oder Müdigkeit, wenn sie eine Mahlzeit auslassen?
Früher habe ich mir überhaupt keine Gedanken über Stoffwechselflexibilität gemacht mit der Folge, dass ich nur unter gewohnten Bedingungen Leistung erbringen konnte. Das Leben ist aber nicht vorhersehbar, wir können nicht alle Umstände immer kontrollieren. Irgendwann hat man keine Zeit oder nicht die Möglichkeit, eine passende Pre-Workout Mahlzeit zuzuführen. Dann fällt das Workout aus. Manchmal fühlt man sich ohne erkennbaren Grund vollkommen schwach – „Heute ist nicht mein Tag“. Manchmal bekommt man Kopfschmerzen oder wird müde trotz ausreichend Schlaf in der Nacht. All das hängt mit der Stoffwechselflexibilität zusammen. Sie ist eine der wichtigsten Eigenschaften für alle Athleten (und Menschen).
Daher stellt sich jetzt eine entscheidende Frage:

Wie kann die Stoffwechselflexibilität trainiert werden?

Der erste Schritt ist, 3 Wochen lang täglich maximal 50g Kohlenhydrate zu konsumieren. Das ist aufgrund unserer bisherigen Ernährungsgewohnheiten notwendig, um den Fettstoffwechsel aus dem Dämmerzustand zu holen und effizienter zu gestalten. Wer bereits eine Low-Carb Diät hinter sich hat, kann diesen Schritt auslassen.
Nachdem sich der Körper und allen voran das Gehirn wieder an eine kohlenhydratarme Ernährung angepasst hat, wird es Zeit, sich selbst ständig mit unterschiedlichen Stoffwechselsituationen zu konfrontieren. Mal eine Mahlzeit auslassen oder hin und wieder auf Kohlenhydrate verzichten, gelegentlich einen „Obsttag“ einlegen, also nur Kohlenhydrate essen, ab und an einen Proteintag einlegen, also fast nur Proteine essen. Mehr Aktivität im Sinne der Mai-Challenge in den Alltag bringen, um den Fettstoffwechsel zu fördern. Intensive Workouts absolvieren, um den Kohlenhydratstoffwechsel zu fördern. Pre- und Post-Workout Nutrition variieren, um die Verwertung der einzelnen Nährstoffe zu optimieren. Mal Kohlenhydrate + Proteine, hin und wieder Fette + Proteine, gelegentlich alle drei Makronährstoffe zusammen und ruhig auch ab und an mal komplett auf leerem Magen trainieren.
All das wird die gesamten Stoffwechselaktivitäten des Körpers vor stetig neue Herausforderungen stellen, sodass der Stoffwechsel insgesamt flexibel bleibt und die Leistungsfähigkeit unabhängiger von den Umständen wird.
Das ist ein langfristiger Prozess, der Geduld und auch Disziplin erfordert, denn ein eingefahrener Stoffwechsel kann nur unter großen Mühen wieder flexibel werden. Wer einmal von einer dauerhaft kohlenhydratreichen Ernährung sprunghaft auf eine kohlenhydratarme Ernährung umgestiegen ist, weiß was ich meine. Aber trotz des Aufwandes lohnt sich die Wiederherstellung der Stoffwechselflexibilität, denn die komplette Leistungsfähigkeit – sowohl im Alltag als auch beim Training – wird sich dramatisch verbessern. Du wirst energiegeladener durch das Leben gehen und vor allem freier und spontaner agieren können. Athleten mit einer schlechten Stoffwechselflexibilität müssen permanent planen. Sie müssen egal wo sie auch hingehen sicherstellen, mit Mahlzeiten versorgt zu sein. Sie müssen ihre Pre- und Post-Workout Nutrition und den kompletten Trainings- und Ernährungsalltag durchplanen und schränken dadurch ihr Leben ein – und das einhergehend mit Energietiefs und regelmäßig verminderter Leistungsfähigkeit. Bevor wir also über Cardio, Gewichte stemmen, Calisthenics, Kraft, Masse und Körperfettanteil debattieren, sollten wir uns um unseren Stoffwechsel kümmern, denn er ist der Herr über unsere Leistung, Gesundheit und Gefühlswelt. Ganz abgesehen davon, machen Training und Ernährung wesentlich mehr spaß, wenn sie abwechslungsreich gestaltet werden, also keine Langeweile aufkommt. Daher bleib flexibel. Innerlich wie äußerlich. 

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