Das Schultergelenk bietet von allen Gelenken unseres Körpers den mit Abstand größten Bewegungsumfang. Das ist äußerst praktisch, macht die Schulter allerdings zugleich auch zum Hotspot für Verletzungen und Haltungsfehler.

Letztere treten insbesondere durch einseitige Belastungen auf. Im Alltag wird mit den Händen viel vor dem Körper gearbeitet, Zugbewegungen kommen chronisch zu kurz.

Allein durch die Arbeit am Schreibtisch kommt es zu lokalen Verkürzungen in der Schultergelenkkapsel sowie zu einer unterentwickelten Muskulatur auf der Rückseite (hintere Delta-Muskeln, Trapezmuskeln und diverse andere Muskeln des oberen Rückens) und damit zu dem wohl verbreitetsten Haltungsfehler dieser Zeit: vorgezogene, verdrehte Schultern.

Die Schultern hängen nach vorne, die Arme sind einrotiert, die Handflächen zeigen mehr nach hinten statt zueinander. Ursache dieser Schulterfehlstellung ist ein unterentwickelter Rücken (im Vergleich zu den Brustmuskeln und vorderen Deltas).

Eine saubere Haltung äußert sich darin, dass der Oberkörper aufrecht ist und die Handflächen, wenn du die Arme baumeln lässt, zueinander zeigen. Abgerundete und verdrehte Schultern sorgen für ein „Zusammensacken“ des Oberkörpers und damit zu Verspannungen sowie einer eingeschränkten Kraftübertragung.

Deshalb ist es wichtig, das Schultergelenk über den vollen Umfang zu bewegen und zu stabilisieren, es in alle Bewegungsrichtungen gleichermaßen weiterzuentwickeln.

Denn diese Schulterfehlstellung kann vor allem dadurch korrigiert werden, dass Rücken- und Brusttraining wieder in gesundes Gleichgewicht gebracht werden. Physiotherapeutische Ergänzungsübungen (Face-Pulls und Co.), die zur Zeit YouTube überschwemmen, sind dafür NICHT notwendig! Sie dienen, wie der Name schon sagt, allenfalls der Ergänzung. Zu den nützlichsten Ergänzungsübungen zählt das Hanging. Die wesentliche Arbeit bei der Haltungskorrektur wird jedoch durch eine Ausbalancierung von ziehenden und drückenden GRUNDÜBUNGEN erreicht!

Die Überbetonung drückender Übungen

… sorgt für eine VERSTÄRKUNG der Schulterfehlstellung. Die eigentliche Ursache liegt in einem unausgewogenen Alltag. Das Training sollte diese Ursache ausgleichen, doch stattdessen macht es das Problem oftmals nur schlimmer, weil es ebenfalls unausgewogen ist.

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Denn insbesondere Männer neigen im Studio dazu, sich vorrangig auf drückende Bewegungen zu konzentrieren. Bankdrücken, Dips, Liegestütze. Ziehende Bewegungen wie Klimmzüge, Bodyweight-Rows, Langhantelrudern, Kreuzheben und komplexere Lifts wie Power Cleans fristen ein Schattendasein, sowohl Quantitativ als auch Qualitativ.

Damit schießt man sich im Grunde selbst ins Bein, denn seitdem der Mensch den aufrechten Gang erlernt hat (ist schon eine Weile her…) ist die Rückenmuskulatur aus funktionaler Sicht wesentlich bedeutender für einen starken, gesunden Bewegungsapparat als die Brustmuskulatur!

Das kannst du schon anhand der reinen Anatomie erkennen. Im Wesentlichen besteht die Brustmuskulatur aus drei Muskeln (großer Brustmuskel, kleiner Brustmuskel und Sägezahnmuskel). Es gibt noch kleinere Nebenmuskeln, die dazu gerechnet werden, doch insgesamt hast du wesentlich weniger Muskeln in der Brust als im Rücken und zudem haben diese Muskeln auch noch ein deutlich geringeres Volumen.

Etwas an sich oder sich selbst an etwas heranzuziehen gehört zu den grundlegendsten Bewegungsmustern überhaupt und sollte in deinem Training entsprechend priorisiert werden, wenn du Schulterfehlstellungen beheben und Verletzungen vorbeugen willst.

Die richtige Kombination von Brust- und Rückentraining

Daraus ergeben sich auch die Instruktionen für ein ausgewogenes Rückentraining.

Erhaltung: Übungen für Brust und Rücken im Verhältnis 1:1

Heißt: Für jede drückende Bewegung ist mindestens eine ziehende Bewegung zu absolvieren.

Das ist die minimale Dosis, um die derzeitige Haltung zu konservieren.

Liegen aber schon Haltungsschäden vor, so werden diese durch die Minimaldosis kaum verbessert. Und wenn wir mal ehrlich sind: Welcher normale Erwachsene hat keine Haltungsschäden in der Schulter vorzuweisen? Ich hatte noch keinen einzigen Klienten, der eine wirklich ausgewogene Schulter in ihrer natürlichen Haltung hatte. Das betrifft Männer und Frauen gleichermaßen (erste allerdings tendenziell etwas stärker).

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Manche hatten größere, manche kleinere Verschiebungen der Optimalstellung des Schultergelenks, doch bei allen waren bereits Adaptionen infolge eines unausgewogenen Alltags zu erkennen. Das bringt das moderne Leben so mit sich, wenn man nicht gegensteuert.

Das optimale Verhältnis von Brust- und Rückenübungen

Um vorhandene Fehlstellungen der Schulter zu korrigieren und die sie wieder auf ihre Haltung zu zentrieren, müssen die hinteren Muskeln stärker gefordert werden als die vorderen.

Heißt: Mehr ziehende als drückende Bewegungen. Du kannst hier im Grunde auch nicht „zu viel“ Zugübungen im Verhältnis zu Drückübungen machen.

Zumindest habe ich noch nie jemanden gesehen, dessen Schultern zu sehr nach hinten gerichtet waren. Deshalb gilt für ein gesundes Rückentraining, das auch noch Haltungsfehler korrigiert: Mache mindestens eine Übung mehr für den Rücken als für die Brust.

Das ist der Ansatz, den ich sowohl persönlich als auch bei meinen Klienten verfolge und er ist für eine lebenslange Nutzung konzipiert.

Es ist übrigens erfahrungsgemäß recht schwierig, den oberen Rücken überzutrainieren. Er ist von Natur aus auf ein hohes Belastungsvolumen und eine hohe Belastungsfrequenz ausgelegt.

Die Qualität macht den Unterschied

Entscheidend ist aber nicht nur die Anzahl der Übungen, sondern auch die Qualität der Ausführung!

Ich beobachte nämlich auch immer wieder, dass beide Muskelgruppen (Brust und Rücken) zwar quantitativ ausgewogen bearbeitet werden, jedoch mit erheblichen Unterschieden hinsichtlich der Qualität.

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Während begeistert und mit maximalem Einsatz beim Bankdrücken gearbeitet wird, werden beispielsweise Klimmzüge nur als Ergänzung betrachtet – nach dem Motto „Augen zu und durch“.

Auch dadurch können Dysbalancen entstehen! Die Qualität der Wiederholungen ist mindestens so wichtig wie die Quantität.

Aus funktionaler Sicht sollte dein Fokus definitiv zuerst auf dem Rücken liegen. Um das zu gewährleisten, bin ich dazu übergegangen, meine Klienten stets zuerst eine ziehende und erst danach eine drückende Bewegung auszuführen.

Diese Übungsreihenfolge hilft ungemein, denn so ist man bei der Zugübung noch frischer und kann sich mehr reinhängen.

Übrigens: Auch hinsichtlich der Ästhetik spielt der Rücken, wenn du mich fragst, eine wichtige Rolle. Faustregel: Je schmaler du oben bist, desto breiter erscheinst du unten.

Umgekehrt lassen breite Schultern die Hüften schmaler erscheinen und verleihen einen athletischeren Look. Der klassische Disko-Pumper Look (Brust + Bizeps) ist ein Auslaufmodell.

Der Trend geht dahin, Ästhetik mit Funktionalität, Fitness und Gesundheit zu vereinen – also zu einem Körper, der zu halten weiß, was er optisch verspricht. Und nichts strahlt dies mehr aus als ein starker, stabiler Rücken mit einer gesunden Haltung!

(Bildquelle: © Andriy Bezuglov – fotolia.com)